Dienstag, 22. April 2014

Streitfall: Gibt es Grenzen der Inklusion? Freue mich über Kommentare...

Schönen Abend,

ich möchte heute auf einen Artikel und die (bislang wenigen) Kommentare eines Artikels der Stuttgarter Zeitung hinweisen. Das Thema war mit den Hinweisen auf eine Petition zu einem inklusiven Schulbesuch eines Walldorfer Gymnasiums die letzten Tage schon mehrfach hier im Blog präsent.
Was mich ein wenig an der Diskussion stört, sind Kommentare und Meinungen, die bspw. ausgerechnet durch den Präsidenten des baden-württembergischen Philologenverbandes, Herrn Bernd Saur, vertreten werden. Zitate:

"Die Lehrer haben erkannt, dass das individuelle Potenzial des Kindes an einer spezialisierten Sonderschule viel besser entwickelt werden könnte, dass sein Verbleiben an der Regelschule ihm also zum Schaden gereicht."

"Die immer wieder zitierte UN-Konvention über die Rechte behinderter Menschen zielt darauf ab, ihnen über die Teilhabe an der Bildung eine Teilhabe an der Gesellschaft zu ermöglichen. Ist aber gerade dieses wichtige Ziel in Baden-Württemberg bei Kindern wie Henri nicht besser an einer hoch spezialisierten Sonderschule durch die dort garantierte bestmögliche Entwicklung ihres individuellen Potenzials erreichbar?"

Aha. Erstens, das heißt: Lehrer erkennen mal ganz geschwind, was Eltern über Jahre nicht erkannt haben? Respekt. Hinweis: Ja, mir ist bewusst, dass es viele Eltern gibt, die aus falscher Motivation heraus ihr Kind auf das Gymnasium prügeln, einzig mit dem Ziel, das heiß ersehnte Abitur zu erlangen - egal, was es für das Kind bedeutet. HALLO - genau da liegt der Unterschied! Henri's Eltern verfolgen ein ganz anderes Ziel - sie wissen, dass Henri nie das Abitur erlangen wird. Hier werden Äpfel mit Birnen verglichen - liebe erkennende Lehrer!

Zweitens: die Sonderschule garantiert die bestmögliche Entwicklung des individuellen Potenzials. Tolle Garantie! Kann ich das bitte schriftlich haben? Ich gehe ja nächstes Jahr dann auch zur Schule. Die ewig Gestrigen, die einfach noch nicht kapiert haben, dass sich die Gesellschaften, zumindest einige um uns herum, zum Glück weiterentwickelt haben, wollen nicht wahr haben, dass Separation - auch mit Garantie auf bestmögliche Entwicklung - immer noch Separation bleibt. Und obwohl die rechtlichen Rahmenbedingungen schon lang geschaffen sind, halten die Lobbyisten, darunter offensichtlich auch Herr Saur, an ihren lieb gewonnenen Systemen fest. Die Nester sind warm, die der Sonderschulpädagogen und die der Gymnasiallehrer... und alle zwischen drin. Veränderung, Reformen - mag anstregend sein. Sorry, is halt so. Aber hätten wir nicht irgendwann die Höhle verlassen, könnte ich heute nicht bei den Golden Arches Pommes essen - und die liebe ich! 

Eines zum Schluss: Ich bin kein Vertreter der bedingungslosen Inklusion - da gibt es andere, die viel heftiger dafür eintreten als ich. Und von überstürzten Aktivitäten bin ich auch kein Freund. Aber ich liebe die Einzelfallprüfung, die die Rechtslage geradezu fördert und fordert. Und was ich aber überhaupt nicht ab kann, Herr Saur, sind erkennende Lehrer und Vorstände von Verbänden, die nichts anderes erkennen lassen als die Motivation, alles dafür zu tun, etwas so zu lassen, wie es ist; und dabei Kindern und Eltern erklären, was das Beste für sie ist. Wie viele gemeinsame Stunden haben Sie denn schon in Ihrem Leben mit Menschen wie mir verbracht? 

Herr Saur - auf folgende Frage möchte ich dann noch antworten:
"Sind sich Henris Mutter, der Petitionsinitiator und die Unterzeichner der Petition eigentlich sicher, dass es für die psychisch-emotionale Entwicklung des Jungen nur positiv ist, wenn er Tag für Tag erfahren muss, dass er zu dem, womit sich alle anderen Klassenkameraden beschäftigen, gar keinen Zugang hat?"

Als Unterzeichner der Petition sage ich: Nein, sicher bin ich nicht. Aber zum Glück habe ich in meinem Leben schon viele Dinge angegangen, bei denen ich vorher nicht sicher war, ob es klappt (sorry, keine Garantie!). Und wenn mein Papa letzte Woche gesehen hätte, dass ich auf das große Gerüst auf dem Spielplatz ganz allein hochkletterte, hätte er mich sofort runtergerissen - es wäre zu gefährlich gewesen, hätte er gedacht. 

Ätsch - ich hab's geschafft. Weil ich mich nicht von Angsthasen, finanziellen Ausflüchten und Inflexibilität leiten und nicht bevormunden lasse (nicht mal von allwissenden Lehrern) - sondern meinen Willen habe und ihn durchsetze - zu Recht:

"Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden." Artikel 3, Abs. 3, Satz 2, Grundgesetz.
Die UN-Konvention zu zitieren ist langsam langweilig - daher mal was Älteres :-)


Den Helm habe ich übrigens nur auf, weil ich mit dem Laufrad zum Spielplatz gefahren bin - und nicht aus "Sicherheitsgründen".


1 Kommentar:

  1. Gymnasiallehrer werden auch null vorbereitet auf inklusiven Unterricht (wenigestens an den PHs ändert sich da nun was). Kein Wunder scheuen die davor zurück, Kindern mit einer "anstrengenden" Behinderung mit zu unterrichten, außerdem bedeutet es mehr Arbeit. Wenn nicht unbedingt nötig, werden die sich immer davor drücken. Bleibt also nur den Druck aufrecht zu erhalten, von Innen wird sich das System nicht ändern

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